Die RVCL‑S beruht auf einer heterozygoten Mutation im
TREX1-Gen bei autosomal-dominantem Erbgang mit Erkrankungsbeginn zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr [
7]. TREX1 ist ein Polypeptid, bestehend aus 314 Aminosäuren, welches im Zytosol lokalisierte DNA-Moleküle degradiert. Haploinsuffizienz von
TREX1 führt zur Induktion einer anhaltenden Interferon-Typ-I-Reaktion mit Inflammation. Die bei unserem Patienten nachgewiesene Stopp-Mutation befindet sich im C‑terminalen Bereich des
TREX1-Gens. Nonsense-Mutationen im C‑terminalen Bereich des
TREX1-Gens wurden bei mehreren Patienten mit retinaler Vaskulopathie mit zerebraler Leukenzephalopathie und systemischen Manifestationen als ursächlich beschrieben [
6]. Frühe ophthalmologische Befunde sind Cotton-Wool-Herde, Mikroaneurysmata und Teleangiektasien, während im späteren Verlauf Kapillarausfälle, Gefäßobliterationen und Neovaskularisationen mit großen Ischämiearealen auftreten [
7]. Spätkomplikationen sind Makulaödem und Sekundärglaukom [
7]. Im Krankheitsverlauf kommt es neben neurologischen Manifestationen zu Niereninsuffizienz, Raynaud-Syndrom und arterieller Hypertension mit reduzierter Lebenserwartung [
4,
7]; Systemerkrankungen, die auch bei unserem Patienten auftraten. Andere mögliche genetische Ursachen für okklusive retinale Vaskulitiden sind Mutationen in den Genen
CAPN5 und
TNFAIP3 [
1]. Weitere Differenzialdiagnosen sind das Susac-Syndrom, das sich mit einer Trias aus retinalem Arterienastverschluss, Hörverlust und Enzephalopathie manifestiert [
4], sowie die lysosomale Speicherkrankheit Morbus Fabry, die aufgrund eines Mangels an α‑Galaktosidase A zu Gefäßanomalien und Leukenzephalopathie führt [
2]. Derzeit gibt es für die RVCL‑S keine etablierte Therapie. Die European Academy of Neurology empfiehlt aufgrund fehlender Evidenz weder Thrombozytenaggregationshemmung noch Immunsuppression [
3]. Nach Diagnosestellung werden Erkrankungsmanifestationen therapiert: bei Makulaödem die intravitreale Gabe von VEGF-Inhibitoren, bei retinaler Ischämie eine panretinale Laserkoagulation und bei Sekundärglaukom die Augeninnendruckkontrolle [
7]. Die University of Pennsylvania führt derzeit eine klinische Studie zum humanen Antikörper Crizanlizumab durch, der die Krankheitsprogression der RVCL‑S durch die Blockade von P‑Selectin, was bei RVCL‑S proinflammatorisch und obstruktiv wirkt, verhindern soll [
5]. Die Ergebnisse dieser Studie stehen noch aus.